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Film-Archiv

Interview mit dem Filmemacher
Samir im Gespräch mit dem Filmpublizisten Michael Lang
ML: Die Premiere von "Forget Baghdad" fällt in eine Zeit, in der sich der politische Konflikt zwischen Israel und der palästinensisch-arabischen Welt dramatisch zugespitzt hat.
Samir: Genau, wobei der Beginn der Arbeiten in eine Phase fiel, in der grosse Hoffnungen auf eine Entspannung bestanden. Mein Verhältnis zu den vier Protagonisten des Films ­ intellektuelle irakisch-jüdische Kommunisten in Israel ­ hat sich durch die Zuspitzung des Konflikts nicht geändert. Aber es gab heikle Situationen. Einer meiner Gesprächspartner wurde von einem der israelischen Sicherheitsdienste wegen seiner Mitarbeit am Film kontaktiert. Ich wurde in Israel einmal von der Polizei festgehalten, aber dann doch nicht befragt. Im September 2001 wollte ich eigentlich die restlichen Recherchen vor Ort betreiben, aber das ging dann wegen den Vorfällen vom 11. September nicht mehr. Im Februar 2002 eskalierte der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern und ich konnte selber praktisch nichts mehr machen. Mein Kameramann Philippe Bellaiche reiste jedoch hin und her und brachte Aufnahmen mit.
ML: Hatte die veränderte politische Lage Auswirkungen auf den ideellen, inhaltlichen Gehalt des Films?
Samir: Wenn ich "Forget Baghdad" früher abgeschlossen hätte, wäre er wahrscheinlich dezidiert polemischer ausgefallen ­ gegen Israel. Jetzt könnte man sagen, dass einiges vielleicht etwas geschönt dargestellt wird. Und zwar deshalb, weil ich mich in diesem schwierigen laufenden Prozess nicht übermässig positionieren wollte.
ML: Wie kam es eigentlich zum Projekt, irakisch-jüdische Kommunisten in Israel zu porträtieren? Ein zumindest bei uns kaum bekanntes Kapitel der Migration.
Samir: Die Wurzeln der Ideen reichen in die Zeit des Golfkriegs, also rund ein Jahrzehnt zurück. Das erste richtige Skript entstand dann in den Jahren 1996/97. Damals beauftragte ich eine Mitarbeiterin, in ihren Ferien in Israel nach irakischjüdischen Kommunisten Ausschau zu halten. Das Ansinnen löste damals noch einiges Erstaunen aus.
ML: Teile Deiner eigenen Lebensgeschichte als „Secondo“ spielen in den Film hinein, aber doch auffallend seltener als in Deinen früheren Werken.
Samir: In den ersten Phasen des Projekts kam ich überhaupt nicht vor! Doch dann wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass ein Film ohne Verweise auf meine Vita doch eigenartig wäre. Es wurde zudem öfters angenommen, dass ich ­ wie die porträtierten Intellektuellen ­ einer irakisch-jüdischen Familie entstamme. Dem ist aber nicht so, ich stamme aus einer muslimischen irakischen Familie. Ich habe mich dann also entschlossen, etwas mehr von mir einzubringen und zu zeigen, dass ich über die Reflexion des Themas auch meine eigene Geschichte besser kennen lernen wollte. Ähnlich wie in meinem 1993 fertiggestellten „Babylon 2“: Damals wollte ich einen Film über andere „Secondos“ machen und habe dann doch auch von mir erzählt.
ML: Mir scheint aber, dass Du die Suche nach den eigenen Wurzeln in „Forget Baghdad“ auf eine universellere Weise darstellst und thematisierst als in Deinen früheren Arbeiten fürs Kino. Dein neuer Film orientiert sich an den vier interessanten und beredten Protagonisten, der formale Tenor wirkt ruhig. Stilmittel?
Samir: Da ist etwas dran. Ich werden auch älter. Und wenn man älter wird, sieht man, dass das, was einem interessiert, in einem grösseren Zusammenhang gesehen werden muss. Für mich ist das eine durchaus positive Erkenntnis; man darf sich ja auch etwas zurücknehmen.
ML: In "Forget Baghdad" wird viel geredet: Die Sprache, das Wechseln der Sprache, die Suche nach einer neuen Identität über die Sprache ist ein Hauptthema.
Samir: Das ist richtig und gewissermassen die Analogie zwischen den vier Gesprächspartnern und mir. Nach ihrer Emigration mussten sie sich eine neue Sprache zu eigen machen. Und zwar in einem Alter, in dem die ursprünglich angeeignete Sprache bereits ein fester Bestandteil ihrer Persönlichkeit war. Ich habe Ähnliches erlebt, als ich in die Schweiz kam. Diese Parallelität versuche ich im Film darzustellen. Ich will zeigen, dass der Prozess der Migration und der Veränderung von Sprache darauf hineist, dass Kulturen hybride Züge haben und keine statischen Grössen sind.
ML: Denkt man anders, wenn man plötzlich in ­ und mit ­ einer anderen Sprache lebt?
Samir: Bestimmt. Mich hat aber überrascht, zu sehen, dass es für Araber einfach ist, ins Hebräische hineinzufinden und für Israeli ins Arabische. Die beiden Sprachen haben viele Ähnlichkeiten, etwa wie Italienisch und Spanisch. Erstaunlich ist jedoch, dass Israeli kaum Arabisch sprechen, obwohl das für sie einfacher zu erlernen wäre als eine andere Sprache.
ML: Wobei diese Verweigerung natürlich Gründe hat...
Samir: Klar, sie ist politisch motiviert. Deshalb habe ich mich auch entschlossen, die Gespräche mit den Hauptpersonen im Film in Arabisch zu führen. Es wird in Israel nun Leute geben, die schockiert sind, wenn sie bestbekannte Intellektuelle ihres Landes ­ wie etwa den medial prominenten Autor Sami Michael ­ plötzlich ihre wahre Sprache, Arabisch, sprechen hören. Dasselbe wird auch passieren, wenn Araber hören, wie eloquent sich angebliche israelische Intellektuelle in Arabisch ausdrücken.
ML: Wie muss man sich den Kontakt zwischen Dir und Deinen Gesprächspartnern vorstellen?
Samir: Ich habe alle zuerst im persönlichen Rahmen kennen gelernt, wo das Filmprojekt noch keine zentrale Rolle spielte. Dabei stellte sich heraus, dass mein vom Dialekt der Fünfzigerjahre geprägtes Arabisch dem ihren sehr nahe kam. Den ersten Kontakt stellte eine palästinensische Regieassistentin her, die höflich, aber distanziert behandelt wurde. Als ich dann mit meinem Dialekt ins Spiel kam, wurde die Atmosphäre entspannt. Die Sprache wurde offenbar zum Schlüssel zu ihrer Seele, zur Brücke zwischen ihnen und mir.
ML: Dein Film enthält historisches dokumentarisches Filmmaterial und Ausschnitte aus themenbezogenen Kinofilmen. Wie wichtig sind solche Quellen und Stilmittel?
Samir: Ich glaube, dass Filme unsere Wahrnehmung von der Welt mehr prägen als Literatur oder Schullektionen und wollte auch tradierte filmische Klischees ­ oder Stereotypen ­ unbedingt vorführen. Ich hatte die Idee, alle Filme zu zitieren, mit denen ich aufgewachsen bin. Am Schluss hatte ich weit mehr Material, als ich verwenden konnte ­ in einem Leben kommt ja eine enorme Fülle von filmischen Eindrücken zusammen.
ML: Neben Ausschnitten von im Westen entstandenen Filmen wie Otto Premingers „Exodus“ finden sich in „Forget Baghdad“ auch Szenen aus israelischen oder ägyptischen Filmen.
Samir: Die israelische Filmgeschichte war mir nicht geläufig, ich musste mich einarbeiten. Ich habe in den Cinematheken von Tel Aviv und Jerusalem Filme gesichtet und war überrascht, dass vieles, was ich dort fand, fast deckungsgleich das bestätigte, was mir meine Gesprächspartner erzählten ­ obwohl sie die Filme gar nicht kannten.
Froh bin ich, dass ich den ägyptische Film "Fatma, Marika wa Rachel" aus den Vierzigerjahren gefunden habe. Dort treten auf komödiantische Art Araber, Muslime und Juden gemeinsam auf ­ und spielen mit ihren kulturellen Identitäten. So wird exemplarisch die Verschmelzung der einzelnen Kulturen gezeigt. Und es entsteht eine Melange zwischen der technisierter Westkultur ­ die den Lebensraum bestimmt ­ und einer eher emotionalen, musikalischen arabischen Lebensform. Mit dem Einbezug dieser Dokumente in den Film versuche ich zu zeigen, dass es einst Gemeinsamkeiten gegeben hat.
ML: Dein Film wird von Männern geprägt. Weshalb?
Samir: Meine Intention war es natürlich, auch irakisch-jüdische Kommunistinnen zu befragen und ich habe sogar ein paar gefunden. Eine der Frauen lebt in London, die andere in Schweden. Beide sind bewusst nicht nach Israel ausgewandert und passten somit leider nicht mehr in den historischen, gesellschaftlichen und thematischen Kontext, der mir wichtig schien.
ML: Immerhin nimmt die Soziologin und Filmhistorikerin Ella Shohat, die in New York lebt, eine wichtige Position ein.
Samir: Ich las Ella Shohats Buch über den israelischen Film und wollte sie kennen lernen. Erst dann habe ich erfahren, dass sie die Tochter irakischer Juden ist. Das war natürlich toll; Ella wurde so zu einer Art „virtuellen Tochter“ der älteren Herren im Film. Sie tritt ab der zweiten Hälfte von „Forget Baghdad“ stark in Erscheinung und repräsentiert die jüngere Generation irakischer Emigranten. Man muss übrigens wissen, dass die Kinder der von mir porträtierten Männer ­ und sie selber ­ dank ihres politischen Bewusstseins gut in die israelische Gesellschaft integriert sind. Sie hatten von Beginn weg eine dezidiertere Haltung gegenüber dem Staat Israel und können mit den Gegebenheiten umgehen. Sie sind kritisch eingestellt, wenn es etwa um rassistische Züge des Systems geht, sind aber auch überzeugte Befürworter des Staates Israel.
ML: Welche Bedeutung hat das jüdische, das religiöse Moment im Film?
Samir: Darum geht es nicht primär. Ich denke, Religion ist ­ salopp gesagt ­ so wertneutral wie eine Kaffeetasse: Die einen trinken aus einer grossen, andere wiederum aus einer kleinen. Man nimmt Zucker zum Kaffee oder nicht. Religion hat nicht direkt mit Politik zu tun. Aber sie wird natürlich von ihr instrumentalisiert.
ML: Wie wird man in der arabischen Welt auf "Forget Baghdad" reagieren?
Samir: Ich hoffe, dass der Film dort ein Fenster öffnet. Ich bin zwar nicht der einzige, der sich mit irakischer Juden in Israel auseinandersetzt. Aber ich denke, dass ich ­ von aussen kommend, quasi mit dem Schweizerkreuz auf dem Rücken ­ eine besondere Sichtweise einbringen und einen Beitrag zur Einsicht leisten kann, dass Probleme nicht mit Kriegen gelöst werden können. Mein Film erzählt den Israeli zwar nichts Neues. Aber vielleicht weckt er Erinnerungen an Dinge, die etwas in Vergessenheit geraten sind.
ML: Welche Hoffnungen verknüpfst Du mit Deinem Film noch?
Samir: Geschichte immer und überall politische Geschichte ist. Sie wird von Menschen gemacht und mit allen ihren Leiden auch von Menschen ausgetragen. Ich zeige vier politisierte, ältere Menschen, die Zeugnis ablegen von einer existenziellen Veränderung.
Ich hoffe, dass man in Europa versteht, dass das, was in Israel abläuft, ein schon lange andauernder kolonialer Prozess ist und dass Israel kein monolithischer Block ist. Man darf sich aber auch bei uns fragen: Wie lange gibt es Demokratie, Frieden? Oder: Was hat eine Kultur mit der Zivilgesellschaft zu tun?
Ich glaube, dass "Forget Baghdad" eine neue Sicht auf den gegenwärtigen Konflikt öffnet und verdeutlicht, dass es Parallelen zu den Verhältnissen bei uns in Europa gibt. Deshalb bringe ich mich auch im Film selber ein; denn es ist für jeden „Secondo“ schwierig, sich in einer fremden Gesellschaft zu integrieren, eine neue Sprache anzunehmen. Mein Film hilft vielleicht mit, Ereignisse aus einem anderen Kulturraum verständlich und als Spiegelbild der Schweiz erkennbar zu machen.
Zürich, 1. August 2002